OLG Nürnberg, Urt. v. 30.03.2022 – 12 U 1520/19
Mit Urteil vom 30.03.2022 entschied das OLG Nürnberg, dass Geschäftsführer zur Einrichtung eines Compliance-Management-Systems verpflichtet sind. Andernfalls kann die Gesellschaft Schadensersatzansprüche für Schäden gegenüber dem Geschäftsführer persönlich geltend machen, wenn durch die fehlenden Compliance-Maßnahmen ein Schaden entsteht.
I. SACHVERHALT
Die Klägerin stellt ihren Kunden – Unternehmen mit größerem Fuhrpark – Tankkarten aus. Fahrer der Kunden können unter Verwendung solcher Tankkarten und bei Eingabe der entsprechenden PIN in den von Klägerin betriebenen Tankstellen bargeldlos tanken. Bis zum Jahr 2006 wurde bei der Klägerin die Einhaltung des Kreditlimits für ausgegebene Tankkarten und die jeweiligen Tankkartenkunden nicht kontrolliert. Dies führte dazu, dass zwei Kunden der Klägerin ihre Fahrzeuge über das ihnen jeweils eingeräumte Kartenlimit hinaus betanken konnten. Obwohl die Rechnungen der Klägerin an diese Kunden nicht beglichen wurden, wurden die Tankkarten mangels Kontrolle der Einhaltung des Kreditlimits nicht gesperrt. Dies führte zu Forderungsausfällen der Klägerin, die ihre Forderungen aus mittels der ausgegebenen Tankkarten erfolgten Betankungen gegen die beiden genannten Kunden nicht mehr realisieren konnte.
In der Folge fasste die Klägerin einen Beschluss, wonach ungesicherte Tankkredite an Speditionen auf 25.000,00 € begrenzt werden. Ein Mitarbeiter der Klägerin duldete jedoch die Überziehung der Kreditlimits durch mehrere Kunden. Diese wurden insolvent uns konnten nicht auf Zahlung in Anspruch genommen werden.
Der Beklagte als ehemaliger Geschäftsführer wurde zur Zahlung des dadurch entstandenen Schadens in Höhe von 860.859,74 € verpflichtet.
II. RECHTLICHE BEWERTUNG
Geschäftsführer haften nach § 43 Abs. 2 GmbH-Gesetz gegenüber der Gesellschaft für Schäden, wenn sie ihre Obliegenheiten verletzen. Nach der – in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG für die AG normierten, für die GmbH entsprechend anwendbaren – sog. business judgement rule liegt keine Pflichtverletzung vor, wenn der Geschäftsführer bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Der von der business judgement rule eingeräumte Handlungsspielraum wird jedoch dann überschritten, wenn aus der Sicht eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsmannes das hohe Risiko eines Schadens unabweisbar ist und keine vernünftigen geschäftlichen Gründe dafürsprechen, es dennoch einzugehen.
Der Geschäftsführer muss das von ihm geführte Unternehmen so organisieren, dass er jederzeit Überblick über die wirtschaftliche und finanzielle Lage der Gesellschaft hat. Dies erfordert ggf. ein Überwachungssystem, mit dem Risiken für Unternehmensfortbestand erfasst und kontrolliert werden können. Aus der Legalitätspflicht folgt die Verpflichtung des Geschäftsführers zur Einrichtung eines Compliance-Management-Systems, also zu organisatorischen Vorkehrungen, die die Begehung von Rechtsverstößen durch die Gesellschaft oder deren Mitarbeiter verhindern.
Eine Pflichtverletzung liegt jedoch schon dann vor, wenn durch unzureichende Organisation, Anleitung bzw. Kontrolle Mitarbeitern der Gesellschaft Straftaten oder sonstige Fehlhandlungen ermöglicht oder auch nur erleichtert werden. Diesbezüglichen Verdachtsmomenten muss der Geschäftsführer unverzüglich nachgehen.
Delegiert der Geschäftsführer seine Überwachungsaufgabe, reduziert sich die effektive Überwachungspflicht des Geschäftsführers auf die ihm unmittelbar unterstellten Mitarbeiter und deren Führungs- und Überwachungsverhalten („Überwachung der Überwacher“). Eine Pflichtverletzung des Beklagten ist bereits deshalb gegeben, weil dieser es unterlassen hat, im Rahmen der internen Unternehmensorganisation der Klägerin Compliance-Strukturen zu schaffen, die ein rechtmäßiges und effektives Handeln gewährleisten und die Begehung von Rechtsverstößen durch die Gesellschaft oder deren Mitarbeiter – auch mittels Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen – verhindern.
III. PRAXISEMPFEHLUNG
Für Geschäftsführer und Vorstände gesellschaftsrechtlich bestehende Haftungsrisiken können durch die Implementierung effektiver Compliance-Management-Systeme reduziert werden. Dies bestätigt der vom OLG Nürnberg entschiedene Fall, der zu einer erheblichen Schadensersatzforderung der Gesellschaft gegen ihren ehemaligen Geschäftsführer führte. Bei Einführung eines wirksamen Compliance-Management-Systems, hätte die Haftung minimiert oder gar ganz ausgeschlossen werden können.
WGW berät Mandanten bei der Implementierung sowie in allen Bereichen des Compliance-Managements, das unter anderem den Datenschutz, das Kartellrecht, das Geschäftsgeheimnisgesetzes sowie Antikorruptionsmaßnahmen umfasst.